Mit Volldampf durch die Steamer Lane
Wär ich irgendwo am Meer aufgewachsen, dann wäre ich bestimmt Surferin geworden, aber ich komm aus der Schweiz, da ist Klettern und Skifahren naheliegender. Aber da ich gerade mal nach Santa Cruz ging, um einen Freund zu besuchen, dachte ich, beschäftige ich mich mal mit dem Wellenreiten.
Über drei Meter, sagte die Wellenvorhersage für den Tag meiner Ankunft voraus. Also packte ich schnell meine Sachen zusammen, checkte aus dem Hotel in San Francisco aus und fuhr die 100 Kilometer südwärts. Ich war wild entschlossen mit eigenen Augen zu sehen, wie die jungen athletischen, California Boys und Girls die prominenten Wellen der Steamer Lane reiten.
Stossverkehr im Meer
Ich nahm an, dass bei dieser Wellengröße nur ein paar Erfahrene im Wasser sein würden. Doch als ich dort ankam, waren dort hunderte Surfende. Auch auf der Klippenstraße seitlich entlang der Steamer Lane und am Strand waren Massen von Menschen in Neopren mit Surfbrettern unter dem Arm unterwegs: Nicht nur junge sportlich Gebaute, nein auch Alte, sogar Dicke und Kinder in allen Größen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Santa Cruz trägt jedenfalls mit Recht den Spitznamen „Surf City“.
„Es ist manchmal ganz schön frustrierend“, seufzte Tom, „man kann zeitweise kaum eine Welle ausfahren. Die Steamer Lane ist eine der höchst frequentiertesten Surfspots Kaliforniens. Das ist der Preis für ihre Berühmtheit. Auswärtige werden hier zwar nicht von Surfgangs davongeprügelt, wie an anderen Orten. Aber wenn du einem Einheimischen eine Welle vermasselst, fragen sie dich, ob du von hier bist, bist du es nicht, werden sie dir unmissverständlich den Weg aus dem Wasser zeigen.“
Innen ist es immer Sommer
Es war arschkalt an diesem Tag, daher ging ich mit Tom, in die Bar des Dream Inn, dem einzigen Hotel von Santa Cruz, das direkt am Strand liegt. Von außen präsentiert es sich als grauer Betonbau, aber innen, 2009 neu renoviert, in leuchtenden Farben. Von der Bar hat man einen schönen Blick hin zum Beach Boardwalk, dem älteste Vergnügungspark Kaliforniens und auf das Pier, in dessen Gebälk sich hunderte Seelöwenmännchen erholen.
Von den Wänden der Bar blickte lässig übergroß ein Mann mit Bart und Augenklappe aus Fotografien zu mir herunter. Die Bar sei ihm gewidmet, erzählte mir Tom und nennt sich die ‚Jack O’Neill Lounge‘. Über einer Porträtfotografie steht das Zitat: „It’s always summer on the inside“ („Innen ist es immer Sommer“).
2011 ist das gleichnamige Buch über Jack erschienen. Dass all die Wellenreiter da draußen heute bei Wassertemperaturen von 10°C das Surfen genießen können, haben sie diesem Mann zu verdanken. Er hat maßgeblich den Wetsuit (Nassanzug) erfunden und entwickelt. Dadurch wurde das Kaltwassersurfen überhaupt erst möglich. Klein hat er damals angefangen, 1952, in einer Garage in San Francisco und ist dann nach Santa Cruz gekommen, wo sich heute noch der Hauptsitz des Multimillionen Imperiums O’Neill für Surfkleider und Surfausrüstung, sowie Sport- und Winterbekleidung befindet. Er selbst sah sich immer nur als Surfer. Er war jeden Tag draußen im Wasser, um seine neusten Kreationen auszuprobieren. Das linke Auge verlor O‘Neill hier draußen in der Steamer Lane beim Testen der Leash, die von seinem Sohn Pat erfunden wurde. Die Leash ist eine Nylonschnur, die am Bein befestigt wird, um ein Abdriften des Brettes zu verhindern.
Mit Volldampf durch die Steamer Lane
Die Kaffeemaschine heulte auf, als sie Wasserdampf in die Milch für meinen Cappuccino presst. Mein Blick schweifte hinaus zur Steamers Lane. Der Legende nach kommt der Name „Steamer Lane“ (Dampferspur) von den Dampfschiffen, die früher jeweils der Brandung am dritten Riff entlang navigierten, bevor sie in die Bucht bogen und so gigantische Wellen erzeugten. Für ein paar zusätzliche Wellen sorgen hier zuweilen auch Buckel- und Grauwale. Die Meeresriesen, die bis zu fünfzehn Meter lang werden, ziehen hier häufig durch. „Hast du Angst vor Wal- und Haifischen?“ fragte ich Tom. „Nein, meine Furcht gilt nicht so sehr den Tieren. Mehr Angst habe ich vor einem plötzlichen Clean Up Set“ (das plötzliche Anrollen bedeutend größerer Wellen).
Nach dem Kaffee spazieren wir am Strand entlang, an wessen Ende es eine Treppe gibt, die einen auf die Klippe bringt, die seitlich der Steamer Lane hinaus zum Seal Rock führt. Verklärt schau ich von der Klippe zu den Surfern runter und stellte mir vor wie einst Johnny Rice, hier in diesen Wellen in einem schwarzen Wetsuit, Rosemarie Reimers Rice heiratete, die in weißem Neopren steckte. Johnny lebte den California Lifestyle des Surfens. Er war ein exzellenter Surfer und ritt Wellen auf der ganzen Welt. Fünfzig Jahre lang entwarf und baute er Surfbretter unter dem Label „Johnny Rice Costums Surfboard Santa Cruz“. Rosmarie war eine der ersten und lange wenigen surfenden Frauen hier in der Steamer Lane, was sie einmal in den 1980er da unten ausrufen ließ: „Gott, ich bin die einzige Frau hier draußen…“.
Go Baby, go!
Tom und ich bummelten noch etwas weiter hinaus bis zum äußersten Punkt, wo der Leuchtturm und das Leuchtturmhäuschen standen, in dessen winzigen Innern sich das „Surfing Museum Santa Cruz“ befindet. Leider war es geschlossen. Auf einmal ging ein Raunen durch die Schaulustigen auf der Klippe, denn unten in der Steamer Lane rollte gerade ein Satz ansehnlicher Pazifikwalzen heran, die sich zu schönen Tubes (Röhren) formten. Aufregung machte sich unter den Surfern breit. Sie gingen in Angriffsstellung. Wer darf die erste Welle nehmen? Wer hat Vortritt? Wer traut es sich zu? Einer packte seine Chance, machte auf dem Line Up, auf der Brechungslinie der Welle einen Take Off und schoss vor der einrollenden Walz davon. Ein anderer fuhr eine Welle kurvig hin und her, setzte zu einem Sprung an, fiel und verschwand im weißen Schaum. Die andern tauchten unterdessen unter den Brechern durch, indem sie ein Bein seitlich anzogen, das andere hinten raufstreckten und so die Nase des Brettes unter die Welle drückten. „Ist das schwierig, dieser Duck Dive?“, fragte ich Tom. „Ja, es braucht viel Übung und Erfahrung. Außerdem ist es recht anstrengend. Gelingt es dir nicht, kriegst du einen gratis Waschgang, wenn du die Welle nicht stehen kannst natürlich auch.“
Ich war begeistert. Das Glücksgefühl der Surfer von Santa Cruz schwappte bis zu mir auf die Klippe. Irgendwann mal werde ich das vielleicht ausprobieren, aber an einem wärmeren Tag.
Hast du es schon mal versucht oder träumst du auch noch davon?
Nadia
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