Klettern mit Fledermäusen, Herr Wang, die Flussfahrt, meine und andere Blockaden
Der Schönste Ort der Welt
Ein Kaiser bezeichnete Yangshuo als die schönste Gegend der Welt. In der Tat ziehen bei der Landung wunderschöne saftig-grüne Zuckerhütte an meinem Fenster vorbei. Ich bin entzückt und gleichzeitig aufgeregt. Gleich werde ich zum ersten Mal meine Füsse auf chinesischen Boden setzen. Ich habe es tatsächlich geschafft herzukommen, trotz all meiner Vorbehalte und Widerstände.
Das verlorene Bild
Mein persönlicher Bezug zu dieser Gegend geht viele Jahre zurück. An einem Abend als junge Erwachsene besuchte ich die Vernissage meiner Tante, die Kunstmalerin ist. Da hing dieses kleine Bild, auf welchem ein Fluss mit grünen kegelförmigen Hügeln abgebildet war. Es war wunderschön. Das Bild kostete fünfhundert Franken. Das war für mich damals unerschwinglich. Jemand anderes kaufte das Bild. Leider ist es unauffindbar, obwohl wir die Tochter der Käuferin kennen. Meine Tante malte in den letzten Jahren zwei Bilder für mich auf denen ich mit diesen Hügeln abgebildet bin. Also dachte ich, es wäre interessant eines Tages an diesen Ort zu reisen.
Die Blockaden
Während ich das jetzt schreibe, ist viel Wasser den Li River runtergeflossen seit ich tatsächlich in Yangshuo war. Nach dieser China-Reise im September 2019, fand ich nicht die Zeit über Yangshuo zu schreiben. Und dann kam Covid-19. Da ist mir die Lust vergangen über China und Fledermäuse zu berichten.
Aber nicht nur über China mochte ich nicht schreiben. Ich schrieb überhaupt nichts mehr – die totale Blockade. China ist also schuld und obwohl das vielleicht angesichts der pandemischen Umstände und des Säbelrasselns nicht so passend ist, fange ich jetzt trotzdem mit China wieder an. Es soll gefälligst die bei mir angerichtete Blockade wieder lösen, finde ich.
Die Berge von Yangshuo, der Li River und meine Reise dorthin können ja nichts für das, was gerade ist. Aber ich finde sie sind trotzdem einen Beitrag wert, auch wenn der Weg dahin blockiert ist und man Yangshuo zurzeit gar nicht bereisen kann. Ich denke, es ist nicht gut, dass die Chinesinnen und Chinesen nicht mehr zu uns kommen können und wir nicht mehr ihr Land besuchen dürfen. Die Entfremdung wird dadurch nur wieder grösser.
Fremd
Jedenfalls als das Flugzeug von Hong Kong kommend in Guilin aufsetzte, war ich sehr gespannt, was mich erwarten würde. Der erste Eindruck nach der Landung war jedoch befremdend. Man durfte keine Zeitungen oder Magazine mitnehmen. Wir wurden angewiesen diese im Flugzeug zu lassen.
Die Skepsis meldete sich wieder. Was wird uns wohl in den nächsten sieben Tage in Yangshuo erwarten? Wie werden uns die Menschen begegnen? Oder wir ihnen?
In grosses Erstaunen versetzte uns dann der Flughafen Guilin. Ein hochmodernes Gebäude mit stylisch geschwungenem Dach. Jedoch war da nicht viel los. Nur an ein paar wenigen Andockstellen standen Flugzeuge. Das gleiche Bild zeigte sich im Inneren des Flughafens. Gähnende Leere in gigantischen Ankunftshallen, Abflugshallen und Gepäckshallen. Was ist denn hier los? Was haben die geplant? Worauf bereitet man sich vor?
Auf der etwa einstündigen Taxifahrt von Guilin nach Yangshuo waren wir weiter verwundert. Immer wieder wurde der Blick auf die wunderschöne, für diese Gegend so typische Hügellandschaft unterbrochen von gigantischen Baustellen. Es waren nicht etwa kleine, nein ganze Viertel wurden aus dem Boden gestanzt, modern mit Swimmingpool wie die 3D-Animationbilder auf grossen Tafeln zeigten. Wer soll hier einmal wohnen?
Yangshuo
Als wir endlich in die Stadt Yangshuo reinfuhren, zeigte sich ein buntes Treiben: Dort eine Lieferung, die abgeladen wurde, da eine ganze Familie auf einem Motorrad vorbeidüsend, Fussgängerinnen mit farbigen Schirmen, eine Gruppe asiatischer Touristen, die Fotos machte, ein paar ältere Damen beim Schwatzen und dort drüben ein junger Mann, der mit Blumen bemalte Laternen an einen Baum hing. Wir passierten Strassen, die mit farbigen Schirmchen dekoriert waren, Bäume geschmückt mit roten Bändern, Schilder mit chinesischen Lettern und Fahnen der Volksrepublik China, die im warmen Wind flatterten. Dann sah ich plötzlich einen grossen Schrein, ein riesiges rotes Tor vor einem modernen Gebäude. Es war allerdings kein Schrein. Als wir näherkamen, entpuppte sich dieses Gebäude als riesiger Einkaufstempel, allerdings noch mit leeren Verkaufsflächen.
Wir fuhren durch einen Tunnel, der zwei Stadtteile verband, dann über eine Brücke, wo wir endlich einen kurzen Blick auf den Li Jiang erhaschen konnten, der sich mitten durch Yangshuo schlängelt.
Den Yulong River hinuter
Um diese besondere Landschaft so richtig zu geniessen, muss man eine Floss-Flussfahrt machen. Das ist ein besonderes Erlebnis. Dies wird angeboten auf dem Yulong River, einem Zufluss des Li Jiang. Man ist zwar nicht allein, denn das schien eine DER Touristenaktivitäten von Yangshuo zu sein. Man sitzt auf einer Bank auf einem Bambusfloss, dass von einem Flossführer oder in unserem Fall Flosskapitänin während ungefähr neunzig Minuten flussabwärts gesteuert wird. Auf dem Weg müssen mehrere steile Stufen von etwa ein bis zwei Meter überwunden werden, wo die Gondoliera das Floss geradewegs den Abgrund hinuntersteuert. Aber dazwischen ist es ruhig und beschaulich und man kann das üppige Grün in sich aufsaugen. Als Kletternde waren wir natürlich immer darauf aus, mögliche kletterbare Felsen auszumachen.
Herr und Frau Wang
Wir liessen jeden Tag durch das Hotel einen Fahrer mit Fahrzeug buchen, welcher uns zu den verschiedenen Gebieten fuhr. Es war immer derselbe Mann, nur an einem Tag kam seine Frau. Den Namen unseres Fahrers wussten wir bis zum Schluss nicht. Ich nenne ihn daher Fei Wang. Er war um die vierzig und zeigte kaum je Emotionen. Aber es war ein guter Fahrer, besonnen und ruhig. Fei Wang fand ausserdem alle Orte, wo wir hinwollten, was angesichts der vielen neuen Baustellen nicht ganz einfach war. Herr Wang sagte nie etwas und grüsste oder verabschiedete sich kaum. Vielleicht lag es daran, dass wir kein Chinesisch sprachen und er kein Wort Englisch verstand. Die Kommunikation mit ihm bewerkstelligten wir Mittels einer Übersetzungsapp und der Hilfe eines Hotelangestellten, welcher Englisch sprach. Immer geduldig wartete Fei Wang stundenlang bei seinem Auto bis wir für den Tag ausgeklettert waren. Frau Wang war das pure Gegenteil, das reinste Energiebündel. Mit ihr war es leichter, denn sie sprach Englisch. Sie ist sogar mit uns nach dem Klettern in der feuchten Nachmittagshitze die ungefähr 1000 Stufen auf den Gipfel des Moon Shan hochgestiegen. Das war wegen der Hitze beschwerlich, aber man wird mit einer überwältigenden Aussicht belohnt.
Erst am letzten Tag öffnete sich Herr Wang ein bisschen. Er kam zu uns an die Felswand mit und schaute etwas zu. Nach dem zweiten Angebot nahm er sogar von unserem Mückenmittel, denn die Biester waren erbarmungslos.
Klettern mit Fledermäusen
Was die Kletterei betraf, kann ich nur in den höchsten Tönen schwärmen. Wirklich jede einzelne Route, die wir in diesen Tagen an den unterschiedlichsten Kalk-Zuckerhüten kletterten, waren traumhaft. Bei keiner einzigen Routen fanden wir, dass sie langweilig, brüchig, falsch bewertet oder inhomogen gewesen wäre. Es war einfach jeder Tag das reinste Klettervergnügen. Beim Höhlenklettern muss man ein bisschen aufpassen, dass man den Fledermäusen nicht in die Quere kommt. Wie wir alle gerade gelernt haben, könnte das deine Gesundheit gefährden.
Yangshuo umfasst ungefähr 900 Routen (meist ein-seillängen) an etwa 60 Gebieten. Am besten ist es dort im Herbst oder Frühling für die Grade 5.10-5.11 (5-7). Die Felsart ist tropischer Karst.
Natürlich haben wir in dieser kurzen Zeit nur einige Klettergebiete besucht. Es gäbe noch so viel zu entdecken und sicher auch noch viel das man neu eröffnen könnte, aber dazu müsst das Land seine Grenzen wieder öffnen, womit ich in nächster Zeit nicht rechne.
Das innere Bild
Die Meinung dieses einen Kaisers, dass Yangshuo die schönste Gegend der Welt sei, teile ich nicht, aber ein bisschen Recht hat er doch, es ist eine von den schönsten Gegenden der Welt. Und nur schon wegen dieser Schönheit, hat es sich gelohnt dorthin zu reisen. Ich bin dankbar dafür, dass es mir möglich war und ich danke meiner Tante für die Inspiration dazu.
Das unauffindbare Bild meiner Tante möchte ich zwar immer noch, aber ich lebe auch ganz gut ohne dieses, denn ich habe das Bild nun in mir, in meiner Erinnerung an Yangshuo.
Nadia