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Spitzkoppe, das Matterhorn Namibias – Auf der Normalroute zum Hauptgipfel

Aufi zum schönsten Ort Namibias

Sunset

Vom Berg verschluckt

Hoch oben an der Spitzkoppe, gerade bevor die Kletterpartie beginnt, also dann, wenn es fast geschafft und endlich nur noch der vermeintlich vergnügliche Teil der Tour kommt, hindert einem drohend ein geschlitztes Felsgewölbe am flüssigen Weitergehen. Nur ein dunkler senkrechter Spalt lässt uns tiefer und enger hineingehen in den Berg bis wir vor einer Stufe auf Schulterhöhe zu stehen kommen. Allerdings ist die Felsspalte hier nur noch so breit wie meine schlanke Freundin Beatrice. Sie versucht es als Erste. Nachdem sie auf Beats Schultern stehend die Stufe überwunden hat, tritt sie hinüber in die Enge. Seitwärts passt sie gerade so rein. Mit schlangenartigen Bewegungen arbeitet sich meine Heldin Millimeter für Millimeter rein in den Berg und verschwindet in der Dunkelheit. Panik überkommt mich. Ich pass da niemals durch! Ich werde steckenbleiben – für immer! Schlangen werden vorbeikommen und mich auskundschaften, Skorpione an mir herumkrabbeln und irgendwann würde mich ein Leopard aufspüren und auffressen, Stück für Stück.

Matterhorn Namibias

Der einsame Berg in der Wüste

Man muss wissen, die Spitzkoppe wird wenig begangen. Es gibt durchschnittlich ungefähr zehn Gipfelbesteigungen. Seit der Erstbesteigung 1947 wurde der Main Summit nur ungefähr von 700 Kletterpartien besucht. Man kann nicht einfach auf diesen Hauptgipfel wandern, nur Kletterer können ihn erreichen. Man muss auch bedenken, dass die Spitzkoppe abgelegen in einer Wüste aus Stein und Sand liegt. Rundum gibt es kaum Zivilisation. Das nächste akzeptable Spital ist drei Stunden entfernt in der namibischen Hauptstadt Windhoek.

Aufstieg2

Der Ruf des Berges

Aber wie kam ich überhaupt in diese Situation. Meine Geschichte um die Spitzkoppe begann einige Jahre früher. An unserem letzten Tag in den Rocklands in Südafrika, lag ich nach dem Klettern im Schatten auf einem Steinblock und blickte sehnsuchtsvoll nach Norden in Richtung Namibia. Ich wollte nicht nach Hause. Ich wollte hier bleiben in Afrika. Nur noch ein paar Stunden weiterfahren, dachte ich und dann wäre ich dort.

Von dem Tag an lag ich meinem Mann Beat in den Ohren. Dieser wollte aber lieber in die USA nach Ten Sleep in Wyoming oder City of Rocks in Idaho fahren, wo wir schon gefühlte hundertmal waren. Irgendwann lenkte er ein, sagte aber, dass er nur mitkomme, wenn ich mit ihm auf den Hauptgipfel der Spitzkoppe steige. «Na klar», sagte ich. Dann legte er mir den Kletterführer der Spitzkoppe in die Hand und ich fing an zu lesen.

Als ich die Beschreibung der einfachsten Route durch hatte, wurde mir aber ganz schön bange. Nicht der Kletterpart am Schluss auf den Gipfel machte mir Sorgen, aber der ganze Rest, das Klang nach einem grösseren bergsteigerischen Abenteuer. Da gabs eine über mehrere Seiten reichende Routenbeschreibung, dass es mir die Haare aufstellte. X Löcher durch die man durchschlüpfen, mehrere Kamine durch die man sich würgen und durchquetschen müsse. Ich konnte mir das gerade nicht so vorstellen, wir zwei so ganz allein in Afrika an einem solch einsamen Berg. Ein Bein ist schnell gebrochen in solchem Gelände oder eine Hand von einer Schlange gebissen. Enttäuscht legte ich das Buch wieder ins Bücherregal und begrub meinen Traum von Namibia.

Manager.jpg

Aufflackernde Träume

Erst als wir wieder einmal in der südafrikanischen Wildnis unterwegs waren, wir auf dem Rooiberg vom Weg abkamen und einen abenteuerlichen Tag erlebten, dachte ich, schlimmer kann die Spitzkoppe ja nicht sein.

Etwas später kam mir am Flughafen Zürich ein Geo Spezial über Namibia und Botswana in die Hände. Wir waren gerade wieder mal auf dem Weg in die USA nach Maple Canyon in Utah. Während des ganzen Flugs vertiefte ich mich in das Heft und verschlang jedes dort abgebildete Foto und jede Zeile, sogar alle Werbeanzeigen las ich. Mein Feuer für Namibia loderte wieder auf. Als wir wieder zu Hause waren. Holte ich den Spitzkoppe-Kletterführer wieder aus dem Bücherregal und las die Routenbeschreibung wieder und wieder. Man muss wissen, dass ich vor etwa zehn Jahren aufgehört habe mit Bergsteigen und dem Mehrseillängen-Klettern. Ich hatte also ein Problem.

Aber glücklicherweise konnte ich unsere zwei Freunde Beatrice und Willy überreden mit uns nach Namibia mitzukommen. Wir waren nun zu viert und das fühlte sich so viel besser an. Wobei Willy auch kein Bergsteiger und noch weniger ein Kletterer ist, aber der Mann ist jung, kann Grillfeuer machen bei schlimmsten Verhältnissen und hat sehr gute Augen, was uns auf Safari im Etosha National Park sehr zugute kam.

Ballon im Fuss

Am Tag X schälten wir uns also noch bei absoluter Dunkelheit aus unseren Schlafsäcken, um Punkt genau mit dem Licht die ersten leichten Flanken der Spitzkoppe hochzusteigen. Zuvor mussten wir ein grosses Tor aufschliessen. Den Schlüssel dazu holt man sich beim Manager des Spitzkoppe-Parks, denn der Einstieg für unsere Tour lag auf der nicht öffentlich zugänglichen Seite. Wir stiegen auf flachen Granitplatten hoch vorbei an eindrucksvollen Kaktussen. Schon bald hatte man eine fantastische Sicht über die in Morgenröte getauchte Ebene. Bereits für diesen Ausblick hatte es sich gelohnt früh aufzustehen. Aber unser Ziel war noch weit oben, sehr weit sogar. Schon bald wurde klar, dass dies kein Spaziergang werden würde.

Morgenröteder BergLochkletternbouldertunnelAufstieg5

Wir folgten den Steinmännchen, krochen durch Löcher, zwängten uns mit dem Rucksack auf dem Kopf durch Spälte und kraxelten hohe Stufen in engen Rinnen hoch bis wir keine Markierung mehr fanden. Irgendwann standen wir vor einer etwa fünfzehn Meter hohen Verschneidung, die mit einer grossen Steinplatte teilweise überdacht war. Am oberen hinteren Ende gab es ein Loch. Da geht es durch, dachten wir. Wir legten nun alle unsere Klettergurte an. Beat, unser Vorsteiger versuchte ein paar Meter hochzuklettern, jedoch war es nicht möglich eine Zwischensicherung zu legen. Der Fels war zu brüchig. Beim runterklettern, rutschte sein Fuss weg und er schlug seinen Knöchel am Felsen an.

False Crack

Sicher unten angekommen schauten wir alle mit weit aufgerissenen Augen auf das Spektakel an seinem Fuss. Innert Sekunden stülpte sich die Haut wie ein Ballon vor. Es blutete nicht, die Haut war intakt. Es schien innerlich eine Ader verletzt zu sein. Da hatte ich die Idee, dass wir das mit einer Bandage fest zusammenbinden sollten. Bei der Sache mit dem Falschklettern und Beinverarzten verloren wir mindestens eine Stunde. Ich dachte, das wars, jetzt müssen wir umkehren. Abrechen wollte mein Mann aber nicht, denn er hatte keine Schmerzen. Er machte sich nochmals auf die Suche und fand schlussendlich das richtige Loch, wo wir durchkriechen mussten. Es ist eben nicht ganz einfach die Beschreibungen und die Zeichnungen des Kletterführers zu interpretieren.

Topo.jpg

Der dunkle Schacht

Nach jenen weiteren Rinnen, Stufen, Löchern und Felsplatten kamen wir zum nächsten Problem. Es waren steil aneinander gelegte Felsplatten, die ein Art Schacht bildeten. Dieser war ungefähr acht Meter hoch. Hier war Kaminklettern angesagt. Für Kletterer, die die Technik des Gegen- und Hochstemmens kennen, ist das gut machbar. Es hat dort allerdings zwei Stellen, wo man auf Reibung in die platte Wand reinpressen musste. Für Willy, unseren Feuerteufel war dies totales Neuland. Er war klettertechnisch am Anschlag. Ausserdem war es dunkel. Dieser Kamin wurde ihm zum Verhängnis, er kam durch, grade so, aber es hatte ihn zuviel Kraft gekostet. Ich dachte, das wars, wir müssen umkehren. Wir kehrten aber nicht um. Ich war froh, denn jetzt wollte ich unbedingt auf den Gipfel. Hätten wir abgebrochen, hätte ich nicht die Motivation gehabt an einem der folgenden Tage nochmals all das, was wir schon geschafft hatten, aufzusteigen. Willy weiter mitzunehmen war nicht möglich, denn es stand uns ja noch der Squeeze Chimney (Quetsch-Kamin) und die Kletterei auf den Gipfel bevor. Oben am Schacht war ein grosser Platz mit fantastischer Aussicht. Hier deponierten wir nicht nur unseren Freund, sondern auch unsere Bergschuhe, das Essen und die Getränke und ein Seil. Nur mit einem kleinen Rucksack mit einer Flasche Wasser und ein paar Müeslirigel und dem Versprechen in drei Stunden zurück zu sein, zogen wir mit schlechtem Gewissen davon.

Aufstieg4Aufstieg3Squeeze1

Squeeze!

Bald darauf waren wir also bei dem schmalen Kamin, wo Beatrice als erste reinquetschte. Als ihre Stimme aus dem dunklen des Bergs rief: «Ich bin durch!» War ich einerseits erleichtert, andererseits sehr besorgt, denn jetzt war ich dran mit durchzwängen. Würde ich steckenbleiben? Wie Beatrice spreizte ich mich etwas hoch und stand dann auch auf die Schultern von Beat, dadurch erreichte ich die nötige Höhe, um mich mit den Fussspitzen auf ein Leistenband zu stellen, das gefühlte zwei Millimeter breit war. Auf diesem musste ich mich vorsichtig Zentimeter für Zentimeter zur Stufe hinüberarbeiten. Das war der reinste Horror, weil der Durchgang wegen eines gigantischen Klemmblocks bereits so schmal war, dass man seine Kniee nicht anwinkeln konnte. Mit durchgestreckten Knieen ist es schwer Gegendruck zum Rücken zu geben. Ich sah mich schon abrutschen und mein Gesicht an der vorderen Wand aufschürfen. Aber ich schaffte es und stand endlich auf der Stufe. Dort war die Stelle noch schmaler, so eng, dass ich meinen Bauch fest einziehen musste. Mein Kopf mit dem Helm drauf, der in Richtung Beatrice gedreht war, konnte ich nicht mehr auf die andere Seite drehen. Zum Glück kam mir meine Freundin zur Hilfe und zog mich am Arm durch diese engste Stelle. Dann endlich war ich durch und für einen Moment total erleichtert. Aber mein Mann würde stecken bleiben, davon war ich überzeugt, denn der ist breiter als wir Frauen. Seine Muskeln und sein Skelet würde er doch niemals so zusammendrücken können. Er zog vorsorglich seinen Helm aus, arbeitete sich auf die Höhe der Stufe und dann in die enge Stelle hinein, wo ich ihn mit einiger Kraft an seinem Arm zehrend zu mir hinüberzog. Als das geschafft war, fielen grosse Brocken von uns ab. Wir waren uns einig durch diesen Kamin möchten wir nie wieder durch. Das bedeutete aber auch, dass wir jetzt nicht mehr umkehren konnten. Die grosse Aufregung war also geschafft, nur noch schnell die paar leichten Seillängen zum Gipfel hochklettern, dachten wir. Dem war aber nicht so.

Squeeze2Squeeze3

Skorpionbiss?

Zuerst wars Plattenkletterei, die in einen Riss mündete und schliesslich wieder durch ein Loch hinter einer riesigen Platte hochging. Das war recht leicht, obwohl man hier meist selber absichern muss. Nur noch eine Seillänge, dann haben wir’s geschafft. Die letzte Seillänge startete ein paar Meter rechts des Standplatzes mit einem nach aussen breiter werdenenden Kaminriss, wo die Flanken der Spitzkoppe steil abfiel bis ganz runter in die Wüste. Der Blick in die Tiefe lies mich erschaudern. Beat stieg ein, aber er hatte Probleme. Zwei Meter in den Off-Width-Kamin einzusteigen gelang gerade noch, aber er kam nicht zum ersten Hacken. Immerhin ein Friend steckte im Innern des Kamins. Ob der halten wird? Dann rief er: «Ich rutsche ab! Ihr müsst mir helfen!» «Wie können wir helfen?» «Schnell, ich rutsche!» Also löste sich meine heldenhafte Freundin vom Stand und kletterte zu meinem Mann. Währenddessen gab ich etwas Seil aus und hängte sie mit einem Mastwurf am Stand ein. Etwas anderes ist mir in der Eile nicht eingefallen. Schliesslich musste ich ja auch noch meinen Mann sichern. Die mutige Beatrice kam gerade noch rechtzeitig bei Beat an damit ihr dieser auf ihre zierlichen Schultern stehen konnte, die Frau ist taff, so dass Beat den ersten Hacken einhängen konnte. Den Rest der Seillänge bis zum letzten Stand schaffte er dann recht schnell.

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Jetzt noch schnell hier rauf und dann ist es geschafft, dachte ich. Ich kletterte als erste, an meiner Heldin vorbei, die immer noch an dem Friend im Kamin hing. Kaum war ich an ihr vorbei, hörte ich sie laut schreien. Schnell schaute ich zu ihr runter und sah etwas davonfliegen. Irgendein Tier hatte sie ins Bein gestochen, dass sehr stark schmerzte und dann auch ziemlich anschwoll und noch viele Tage geschwollen blieb, so sehr, dass wir annehmen mussten, dass es nicht das Insekt war, dass ich davonfliegen sah, sondern eher ein Skorpion, der sich von ihr bedroht fühlte.

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Ich konnte ihr nicht helfen. Sie musste da noch rauf, denn es gibt von da keinen anderen Weg runter. Man muss über den Gipfel, denn die Abseilstelle liegt etwas weiter drüben. Die ‘Normal Route’ zum Hauptgipfel zieht sich wie eine Spirale um die Spitzkoppe, von Ost, nach Nord und dann im Westen auf den Gipfel. Wir mussten zurück in die Nordflanke, wo wir Willy mit einem Versprechen zurückgelassen hatten. Der Schmerz liess glücklicherweise etwas nach, so dass auch sie weiterklettern konnte. So standen wir bald danach auf dem Main Summit der Spitzkoppe. Es war atemberaubend. Es gibt keinen schöneren Ort in Namibia. Wir hatten rundherum einen fantastischen Weitblick. Namibia lag uns zu Füssen.

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Endloser Abstieg

Die Zeit rannte uns davon, der Abstieg war lang und Tageslicht gibt es im Winter nur von 7-19 Uhr, davor und danach ist es stockdunkle Nacht. Ausserdem haben wir im unteren Teil schon viel Zeit verloren. Wir waren bereits sieben Stunden unterwegs. Eigentlich wäre jetzt eine Pause nötig gewesen, aber dafür war keine Zeit. Also machten wir schnell ein paar Siegerfotos, stiegen zwanzig Meter über die flache Gipfel-Platte ab zum ersten Abseilstand. Dreimal Abseilen, dann würden wir bei Willy sein. Nach der ersten Seillänge hatten wir bereits wieder Sicht- und Rufkontakt mit ihm. Punktgenau nach drei Stunden waren wir wieder bei ihm.

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Er war glücklicherweise guter Dinge, wohl genährt und total erholt. Für uns blieb zum Essen und Trinken wenig Zeit. Schnell schlüpften wir in unsere Bergschuhe und seilten weiter ab. So konnten wir zum Glück schnell viele Höhenmeter nach unten machen.

Abseiling3Abseiling6Abseiling2

Im unteren Teil des Berges muss man aber alle Löcher und Spälte wieder zurück klettern, kriechen oder absteigen. Es schien endlos. Wir schafften es nach elf Stunden, also eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit bei unserem Wagen zu sein. Das ist nicht gerade Rekordverdächtig, denn im Führer werden für eine Dreierseilschaft etwa acht Stunden angegeben. Aber es war ok, wir hatten es geschafft und waren alle einigermassen gesund.

Abstieg4

Das war ein grosser Tag für uns. Nach der Big Daddy Dünenbesteigung während eines Sandsturms, war dies das zweite Highlight unserer Namibia Reise und so musste auch das gebührend gefeiert werden. Gut hatte wenigstens unser Feuerteufel noch genug Energie für den Braai.

Braii

Nadia

[Copyright © Nadia Sbilordo]

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