Schwingen oder Schwimmen? – Ein Spektakel für Seelöwen
Die südliche Halbinsel, die Tasman Peninsula um das ehemalige britischen Gefangenenlager Port Arthur besticht mit endlos bizarren linealgeraden Türmen, die aus dem Ozean ragen und so die Halbinsel ummanteln, wie die Mauern einer Ritterburg.
Ritter und Knappe mit Kamera
Der Totem Pole am Cape Hauy ist der Traum eines jedes modernen Helden. Es ist ein Grund warum Kletterer aus der ganzen Welt den weiten Weg auf die australische Insel weit unten im Süden auf sich nehmen. Ich bin keine Heldin, aber ich war mit zwei solchen unterwegs – zwei die es wissen wollten. Ich war der Knappe und habe die beiden Kletter-Ritter auf ihrer Mission begleitet.
Aus sicherem Posten, von einer Aussichtsplattform habe ich die Unternehmung beobachtet und fotografiert. Weitere Fotos stammen von den zwei Mannen selbst und von einer anderen Seilschaft, einer abenteuerlichen australischen Surfer-Kletterer-Familie, die den danebenstehende Candle Stick stürmten. Netterweise bekam ich die Erlaubnis ihre Fotos für diesen Artikel zu verwenden. Drei davon habe ich ausgewählt und bearbeitet. Mehr Fotos schoss ich am nächsten Tag von der Schnellboot-Touristentour.
Dünnster Turm des Südens
Der Totem Pole ist ein im Meer freistehender Turm, der dünnste der südlichen Hemisphäre. Es grenzt an ein Wunder, dass diese zerbrechlich aussehende Felsnadel überhaupt noch steht. Früher oder später wird sie wohl umfallen.
Der Totem Pole ist nur 60 Meter hoch, also in zwei Seillängen zu bewältigen. Er ist ausgerüstet mit Bohrhacken. Mit 7a+/7b-Können ist er rein klettertechnisch machbar, bedarf aber noch etwas alpintechnischem Seilhandling-Wissen. Obwohl er frei im Meer stehend ist, muss im Gegensatz zum Candle Stick nicht geschwommen werden. Schwimmen will dort keiner, das kannst du mir glauben. Von meiner Aussichtsplattform habe ich unten im Meer viele riesige Quallen gesichtet und wer weiss, was dort sonst noch so herumgleitet.
Zwischen Klippenküste und dem Totem Pole sind fünf Meter Ozean zu überwinden. Wie man das macht, erzähl ich dir später. Ach ja, zurück geht man übrigens nicht auf dem gleichen Weg. Die Klippe ist nämlich dort nicht kletterbar.
Training
Wie bereists erwähnt, der Totem Pole ist das grosse Ding, dass abenteuerliche Kletterer tun wollen. Während unseres ganzen Aufenthalts auf Tasmanien war der Totem Pole allgegenwärtiges Gesprächsthema meiner zwei männlichen Kletterbegleiter. X-fach wurde von ihnen die Routenbeschreibung gelesen, interpretiert und diskutiert.
Wir kletterten hier und dort, halt was möglich war in zweieinhalb Wochen. Siehe dazu mein Artikel: Klettern auf Tasmanien. Und so gingen die Tage ins Land. Bald war wieder Zeit die Insel zu verlassen und zurück aufs australische Mainland zurückzukehren. Und so kam es, dass meine zwei Helden von Tag zu Tag nervöser wurden. Die Stunde des grossen Abenteuers war gekommen. Die Wetterprognosen waren vielversprechend, was nicht selbstverständlich ist. Tasmanien ist berüchtigt für seine Vier-Jahreszeiten-an-einem-Tag-Kapriolen. Wir sind aber Glücksritter, hatten in zweieinhalb Wochen nur einen einzigen Regentag.
Die Entscheidung es am nächsten Tag anzupacken, fiel.
So begannen die beiden am Vorabend an einem Baum und mit einer Telefonstange zu üben, denn es war höchste Zeit wieder mal das Jumaren und das Überwinden von Abgründen mittels der Tiroler-Travers-Technik in Erinnerung zu rufen. Es sind die zwei einzigen Möglichkeiten dort trockenen Fusses wieder rauszukommen.
Spektakel für Seelöwen
Am nächsten Morgen starteten wir früh. Vom selben Parkplatz wie zum Moai muss man ebenfalls 90 Minuten der Küste entlangwandern. Eine wunderschöne Wanderung übrigens. Bei der Aussichtsplattform angekommen stiegen die beiden dann gleichzeitig mit dem Paar und ihrer 15jährigen Tochter ab, die den Candle Stick klettern wollten.
Irgendwann kommt man zu einem Punkt, wo es Standhacken hat. Hier montiert man ein Seil an dessen Ende fix, was so bleibt bis man fertig ist und wieder nach Hause geht. Dann geht’s gleich richtig zur Sache. Der Seilerste und Mutigere oder derjenige, der das Los gezogen hat, seilt ab. Kurz bevor er im Meer landet, auf der Höhe des ersten Bohrhackens am Totem Pole muss dieser mit einer Express-Schlinge in der Hand sich kräftig von der Klippe abstossen, die fünf Meter übers Meer schwingen und dann versuchen mit dem Karabiner der Express-Schlinge am Bohrhacken am Totem Pole einzuhängen, was bei meinem Team beim ersten Versuch gelang. Was für ein Glück! Wir haben Geschichten gelesen von anderen Seilschaften, die das erst nach x Versuchen schafften, was sicher sehr unangenehm ist, weil man dann immer wieder an die Klippe zurückklatscht. Auch sehr ungemütlich oder gar gefährlich ist es, wenn der Wellengang zu hoch ist, weil dieses Kunststück nur wenige Meter über der Wasseroberfläche vollführt werden muss. Schade war nur, dass an dem Tag keine Seelöwen zu gegen waren, die diese Meisterleistung mit ihrem Gebrüll hätten bejubeln können.
Der Zweite seilt dann auch ab und der Erste zieht ihn rüber zu sich zum ersten Stand am Totem Pole. Dann kann ganz normal mit einem anderen Seil geklettert werden. Der Nachsteiger bindet das andere Ende des Abseil-Seils an seinem Klettergurt fest und zieht es so mit sich hoch.
Kerzenschwimmer
Fast gleich muss die Seilschaft vorgehen, die am Candle Stick klettern will. Nur dort muss einer mit den beiden Seilenden um den Bauch gebunden hinüberschwimmen. In unserem Fall war das der Vater der Familie, der als guter Surfer auch ein guter Schwimmer ist. Das Schwimm-Manöver geht folgendermassen. Man hat nur eine Chance, sonst ist es gefährlich. Man schwimmt sehr schnell mit einer Welle hinüber und lässt sich auf die Fels-Terrasse spülen. Wenn man dort ist, muss man unverzüglich rauf und raus bevor die Welle wieder zurück schwappt und einen mitreisst. Drüben angekommen bastelt man mit Friends und Schlingen einem Stand, spannt die Seil straff . Dann kann der Rest der Seilschaft hinüber tirolern.
Die Kletterei
Die Kletterei am Totem Pole soll gemäss meinen Ritterhelden grossartige Leistenkletterei an perfektem Fels gewesen sein. Obwohl es recht harte Kletterei war, bewältigten die beiden Mannen die zwei Seillängen ziemlich schnell. Oben auf der Nadelspitze angekommen, ging es dann daran in luftiger Höhe zur Klippe zurückzukommen. Dazu baut man mit dem mitgezogenen Seil ein sogenannte Tyrolean. Das ist so ähnlich wie eine Seilbahn, nur die Gondel ist man selbst. Man hängt sich an dem Seil ein und zieht sich mit eigener Kraft auf die andere Seite. Nach nur drei Stunden waren wir drei wieder vereint.
Die Familie haben wir am nächsten Tag im Supermarkt nochmals getroffen. Auch sie waren erfolgreiche Turmbezwinger. Am Candle Stick sind die Routen zwar leichter, haben aber keine Bohrhacken. Die Trad-Route wurde von der 15jährigen Tochter vorgestiegen – ein mutiges Mädchen. Wir waren schwer beeindruckt von dieser Seilschaft. Was für ein grossartiger Familienausflug.
Was unsere kleine Reisegesellschaft betraf, zurück auf unserem Campplatz, feierten wir an dem Abend ganz schön ordentlich.
Falls du auch den Totem Pole klettern möchtest und dazu noch Fragen hast, schreib uns.
Lies auch mein Artikel: Tasmanien, Liebesbekenntnis an eine Insel
Nadia