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Wildes, kultiviertes Wyoming: Wenn der Wind den Geist über die Prärie trägt bis hin an die Grenzen der Toleranz

Cowgirl und PferdeEin Ort für echte Kerle und Freiheitsjunkies

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In Wyoming hat’s Platz

Wyoming bedeutet grosse Ebene in Indianersprache. Gross ist Wyoming tatsächlich, aber es gibt nicht nur ebene Ebenen. Wyoming hat auch viel hügelige Landschaft und beeindruckende Bergketten zu bieten mit einer ganzen Reihe 4000er. Was alle Landschaftsbilder gemein haben, die meisten Gegenden sind schier menschenleer.

Wyoming ist in etwa gleich gross wie das noch bestehende Vereinigte Königreich Grossbritannien und Nordirland. Im Vereinigten Königreich gibt es allerdings über 64 Millionen Einwohner. In Wyoming leben gerade mal eine halbe Million Menschen.

Devils Tower

Unterschätzer Staat

Seit sieben Jahren fliege ich jeden Sommer in die USA in den Wilden Westen und verbringe dort immer auch einige Zeit in Wyoming. Meistens beginnt unsere Reise in Denver in Colorado (siehe meine Beiträge über Denver) und führt dann durch Wyoming, South Dakota, Idaho (siehe meine Beiträge über den fantastischen State Park City of Rocks) und Utah. Wie ich in diesem Artikel bereits erklärt habe, geht es mir bei meinen Reisen in erster Linie um bewegende authentische Erlebnisse und nicht um Sehenswürdigkeiten abhacken, obwohl es von denen aber in Wyoming ein paar hat, die sogar mich vom Autosessel hauten. Den Supervulkan Yellowstone und den Devils Tower muss man einfach gesehen haben.

Dieser Beitrag ist nicht gesponsert.

Strassenkarte1

Mit Kojote allein auf weiter Flur

In der Schweiz, wo ich wohne, ist es klein, viele Menschen leben auf sehr engem Raum zusammen. Einsamkeit kann man fast nur noch im Hochgebirge finden. Als empathisch Hochsensibel brauche ich gelegentlich Orte, wo ich mein System runterzufahren und die Batterien wieder mit neuer Energie aufladen kann. Aber trotzdem mag ich Menschen, gelegentlich auch mal welche, die ganz anders ticken als ich, die mich inspirieren und zwingen out-of-my-box zu denken. Um diese Bedürfnise zu befriedigen ist Wyoming ideal.

Wie oben erwähnt, Wyoming ist ein sehr dünn besiedelter Staat, in der USA ist nur Alaska noch einsamer. Neben den wenigen Menschen wird der Staat von Klapperschlangen, Bisons, Grizzlybären, Hasen, Greifvögeln, Kojoten, Elchen, ein paar Pumas, wilden Pferden und Gabelhornantilopen besiedelt. Antilopen gibt es gar doppelt so viele wie Menschen.

Wild Iris

Hier finde ich, was andere im Yoga-Retreat in Asien suchen

Draussen in der einsamen Prärie, wenn sich der Sternenhimmel über mir entfächert, wird mir jeweils wieder bewusst wie grossartig dieses Universum ist und wie klein und unbedeutend ich und meine Problemchen sind. Das tut gut, es buchstabiert mich zurück zum Wesentlichen und senkt meine Wohlstands-Neurosen auf ein tieferes Level ab.

Früher habe ich nach dem Sinn von allem gesucht, heute weiss ich es ist irrelevant. Mich gibt’s, also versuche ich das Leben zu geniessen, das gelingt natürlich nicht immer. Ich leide viel an den Reizüberflutungen der urbanen Zivilisation, aber sobald ich in einsamer Natur bin, fühle ich mich vital und ausgeglichen.

Ich bin kein religiöser Mensch. Ich glaube weder an eine höhere Macht, die alles steuert, noch an ein Leben oder irgendwas nach dem Tod. Warum sollte es weiter gehen mit mir, ich bin unwichtig. Ich glaube alles, was geschieht, sind einfach physikalisch-chemische Phänomene, von denen der Mensch nur Wenige erklären kann. Mir ist das egal, ich brauche nicht für alles eine Erklärung.

Strasse

Gottverlassene Einöde

In Wyoming kann man stundenlang durch Ebenen fahren, wo nichts ist ausser von der Sonne goldbraun gebackener Erde. Spätestens hier müssten einem doch Zweifel kommen. Jedoch wenn man wegen aufkeimender Verlassenheitsgefühle oder Langeweile das Autoradio aufdreht ist Gott schnell wieder präsent. Es kann einem passieren, dass man sich mitten in einer Buchbesprechung über die neuste Bibelausgabe wiederfindet oder dass die heisere Stimme von Scott Stapp, der Rockband Creed, dem Gott den Weg aus der Alkoholsucht wies, einem seinen Weltschmerz aus den Lautsprechern an die Ohren schmettert. Ich respektiere diese Gottesfürchtigkeit, aber meins ist es nicht.

Strasse2Jeder soll glauben, was er will. Ich bin ein Mensch, der sehr viel geistiger Freiraum braucht. Ich mag keine Vorgaben, wie ich zu leben, was ich zu denken oder zu glauben habe. Ich mache mir lieber meine eigene Meinung über die Dinge dieser Welt und dazu ist eine reizarme Umgebung wie ich sie in Wyoming finde ideal. Das Radio schalte ich einfach wieder aus und lass mich in Trance fallen und meine Gedanken mit dem ewigen Wind über die Prärie gleiten. Mein Hirn wird erst wunderbar leer und füllt sich dann allmählich wieder mit meinen eigenen Gedanken und Ideen.

Rössli3

Nicht nur die Pferde sind wild in Wyoming

Eigentlich erstaunt es mich, dass die Wyominger der Religion so zugetragen sind. Sie, die ihre Freiheit so hochhalten und sich am liebsten nichts vorschreiben lassen würden. Wyoming ist wild und die Menschen dort sind schwer zähmbar. Sie pfeifen auf so Gesetze wie es sie im stark regulierten Kalifornien gibt. Ein Wyominger ist stolz darauf, dass er keine staatliche Einkommenssteuer bezahlen, er sein Bier nicht wie andernorts in einer Papiertüte verstecken oder in eingehegten Sektoren konsumieren muss.

Greifvögel

I’ll keep my guns

Was sich die Wyominger auch nicht nehmen lassen wollen, sind ihre Waffen. In Wyoming gibt es viele davon. Es hat wohl fast jeder eine, zumindest eine um die Klapperschlangen abzuschiessen, von denen es in Wyoming zu viele gibt, wie sie meinen. Vor wenigen Jahren wurde, in Ten Sleep, einem der besten Sportklettergebiete, nur ein paar Meter neben dem Platz, wo wir immer campieren, ein ausländischer Kletterer angeschossen. Hat der Fremde einen Einheimischen gereizt? Hat dieser Selbstjustiz ausgeübt. Ich weiss es nicht. Jedenfalls finde ich das haarsträubend.

SkelettAber beim abgelegenen Campieren ist man in der USA leider nicht nur Unwettern oder Tieren ausgesetzt, sondern auch manch recht sonderbaren Zeitgenossen. Es hat mich aber gelernt mit total anders sozialisierten und denkenden Menschen umzugehen. Jedenfalls würde ich mit so jemandem niemals eine religiöse oder politische Debatte führen.

WaffenEin Teil von mir versteht zwar, dass die Menschen dort eine Waffe besitzen wollen. Es ist der Teil, der gelegentlich draussen in der abgeschiedenen Natur weilt. Wenn man als Cowboy nach seinem Vieh sehen muss, dass irgendwo im Nirgendwo weilt, kann ich das sehr gut verstehen, dass man gern eine Knarre dabeihat. Das ist nicht wie bei uns, wo die Kühe gerade hinter dem Hof auf der Wiese stehen. Wyoming ist ein weites wildes Land, es kann dich leicht verschlingen und niemand wird je eine Spur von dir finden.

Gun AutoIch kann allerdings absolut nicht nachvollziehen, und an diesem Punkt läuft meine Toleranz auf, warum man zum Einkaufen im Supermarkt seine Pistole mitnehmen muss, ausser man will den Laden ausrauben. Nicht mal in Südafrika, einem der gefährlichsten Länder dieses Planeten, ist das erlaubt.

Die Wyominger sind aber nicht alles schiesswütige Gesellen, auch wenn die durchlöcherten Strassenschilder entlang der endlosen Highways anderes vermuten lässt. Ich habe die Wyominger und Wyomingerinnen als sehr freundliche, hilfsbereite und bodenständige Menschen wahrgenommen. Auch wenn es manchmal recht herausfordernd ist, Menschen, die ganz anders sozialisiert sind zu verstehen, gefallen mir solche Begegnungen, denn nichts langweilt mich mehr, als mich immer nur mit Meinesgleichen zu umgeben. An solchen Herausforderungen wachse ich und deshalb reise ich.

Rabe

Wyoming ist nicht hinterwäldlerisch

Wenn man auf der Karte schaut, wo Wyoming liegt und die unnatürliche rechteckige Form betrachtet, könnte man auf die Idee kommen, Wyoming sei so ein rückständiger Cowboystaat. Obwohl in Wyoming viele ihre Cowboy-Werte bewahren und ihre Waffen behalten möchten, bedeutet das nicht, dass Wyoming in der alten Wildwest-Kultur stecken geblieben ist. Lies dazu auch meinen Artikel: Die Nebenstrassen von Cody – Kultur in der Prärie: Reitkunst, Bio-Gourmet, Boutique-Hotel, Literatur, Western-Theater, Photographie und Frauenpower.

Grenztafel2

Frauen in Wyoming

Wyoming war schon anno dazumal fortschrittlich. Es soll weltweit der erste Staat gewesen sein, der das Frauenstimmrecht einführte. Das war 1896. Ob das nun weltweit der erste Staat war, sei dahingestellt. In der Schweiz dürfen die Frauen erst seit 1971 mitreden und das ist 75 Jahre später als in Wyoming. Ich gebe zu, der Vergleich mit der Schweiz hinkt total, denn was die ganze Rollenverteilung angeht, ist die Schweiz heute noch so was von hinter dem Mond. Aber damit nicht genug, Wyoming und nicht etwa ein Ostküstenstaat oder Kalifornien, nein der Cowboystaat Wyoming war es, der die erste Frau ins US-Parlament wählte, die erste Friedensrichterin und die erste Gouverneurin stellte. Daher wird Wyoming auch Equality State, Gleichheits-Staat genannt.

Bisonherde

Wyominities

Ist das ansteckend? Wenn es eine Krankheit wie die Wyominities gibt, dann leide ich wahrscheinlich daran, warum sonst fahre ich jedes Jahr hin und schreibe hier x Artikel über diesen Staat. Aber nein, es gibt diese Krankheit nicht. Wyominities ist keine Krankheit. Es ist wie sich die Einwohner von Wyoming selbst nennen.

ScheuneMir gefällt in Wyoming nicht nur die Weite der Prärie, die gelebte Freiheit, der viele Freiraum und dass ich mit meiner Beschränktheit immer wieder an die Grenzen meiner Toleranz komme, nein, es gibt in Wyoming auch viel coole Innovation und sehr Stilvolles zu entdecken und zu geniessen. Lies dazu auch meine Beiträge über Ten Sleep, Cody und bald auch über Jackson. Den in diesen Orten habe ich einige Perlen entdeckt, die ich mit dir teilen möchte.

Nadia

Prärieblumemen

[Copyright © Nadia Sbilordo]

 

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1 Antwort »

  1. Hallo Nadia
    von Wyoming würde ich vermutlich nie etwas näheres erfahren wenn du nicht meine Nachbarin wärst.
    Ein intr. Beitrag vo dir, hat mir gut gefallen.
    Freundlicher Gruss von Albert

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